Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland bestimmt seit Wochen das außenpolitische Geschehen. Zur Rolle Russlands und den möglichen Auswirkungen auf die Wirtschaft im Allgemeinen und auf den Betrieb im PCK Schwedt im Besonderen, hat mich die Redaktion der Märkischen Oderzeitung befragt. Hier lesen Sie das gesamte Interview im Wortlaut:

 

Wie groß ist die Gefahr eines offenen(!) Krieges zwischen Russland und der Ukraine tatsächlich?

– Die Gefahr eines bewaffneten Konflikts vor den Toren Europas wird dann wahrscheinlicher, wenn die Gespräche verstummen und die Diplomatie versagt. Das Zitat von Hans-Dietrich Genscher “Solange man miteinander redet, schießt man nicht aufeinander.” ist nach wie vor zutreffend und aktuell.

 

Müssen wir uns Russland wirklich als den alleinigen Aggressor vorstellen, oder hat Putin auch gute Gründe mit den Säbeln zu rasseln? (Wenn ja, welche sind das?)

– Ich bleibe dabei: Nur wenn man miteinander spricht, kann man den anderen verstehen lernen. Es gibt in keinem Konflikt alleinige „Schuldige“. Der kalte Krieg der Nachkriegszeit hat doch eines gelehrt: Es kann beim Wettrüsten, Säbelrasseln, Sanktionieren und Drohen keinen Gewinner geben. Es gibt nur Verlierer.

 

Haben Sie Sympathien für die russische Position? Wenn ja, warum?

– Russland ist nun wahrlich kein Waisenknabe und aus der “westlichen” Sicht gibt es Einiges zu kritisieren. Aber von welcher Position aus wird die deutsche Kritik gefällt? Gorbatschow hat seinerzeit mit seiner Reformpolitik der Perestroika eine damals unvorstellbare Öffnung und Wandlung der Weltpolitik ermöglicht. Man hat wieder miteinander gesprochen und letztendlich hat Russland der deutschen Wiedervereinigung zugestimmt. Die Zusage des Westens war allerdings, dass es keine Osterweiterung der NATO geben wird. Russland hat dem vertraut und das Vertrauen wurde enttäuscht. Es gab gute Formate, in denen Russland eingebunden war. Dahin müssen wir zurückfinden. Russland muss wieder Teil der Lösung werden und nicht als alleiniges Problem gesehen werden.

 

Haben Sie Bedenken, dass eine Eskalation des Konflikts Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage der Uckermark, insbesondere Schwedt hat, selbst wenn der Konflikt “kalt” bleibt?

– Ich habe Bedenken, dass eine Eskalation Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage ganz Deutschlands und Europas hat. Darüber hinaus sind wir in der Mitte Europas auch im Zentrum dieses Konfliktes.

 

Welche Auswirkungen könnte eine Eskalation auf die regionale Wirtschaft haben?

– Die regionale Wirtschaft ist wie überall abhängig von der Grundstoffindustrie und dem allgemeinen Wohlstand, der damit erarbeitet wird. Am Beispiel der Engpässe bei den weltweiten Lieferketten konnten wir in der Vergangenheit bereits sehen, wie in einer globalen Wirtschaft alles miteinander vernetzt ist. Sobald es irgendwo eine Störung gibt, ist es sofort regional zu spüren. Spätestens dann, wenn die Heizung kalt bleibt.

 

Gibt es schon Auswirkungen in der Region, die wir am Ende noch gar nicht erfassen können?

– Wenn Auswirkungen zu spüren sind, ist es bereits zu spät, um darauf angemessen reagieren zu können. Deshalb müsste eine robuste Wirtschaft flexibel und nachhaltig sein. Unser derzeitiges Wirtschaftssystem ist — aus meiner Sicht — lediglich auf ständiges Wachstum und Gewinnmaximierung ausgelegt. Unsere Abhängigkeit von Rohstoffen und den Weltmärkten lässt uns nur noch reagieren.

 

Besteht aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass bei einer weiteren Eskalation nicht nur Nordstream II auf Eis gelegt wird, sondern auch die Druschba-Pipeline?

– Ich verstehe ehrlich gesagt die paradoxe Vorgehensweise „führender“ deutscher Außen- und Wirtschaftspolitiker nicht. Nordstream I und II versorgen vornehmlich Deutschland mit Erdgas. Nordstream wurde für uns gebaut. Wir steigen aus Kernkraft und Kohleverstromung aus — zumindest aus der Erzeugung — und haben uns damit bewusst in die Abhängigkeit von russischem Erdgas begeben. Nun drohen wir unserem Hauptlieferanten damit, dass er die Leitung für unsere Versorgung nicht nutzen darf. Hier versteht jeder Grundschüler, dass so etwas ins Kuriositätenkabinett gehört. Gleiches bei der Erdölpipeline Freundschaft. Sie wurde in den 1960er Jahren gebaut, um Erdöl in die Schwedter Raffinerie zu pumpen. Mittlerweile ist der russische Staatskonzern Rosneft quasi Alleineigner von PCK Schwedt. Wird hier der Hahn zugedreht, hat nur einer das Nachsehen und das sind wir.

 

Gibt es aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass Russland ein Drosseln des Öldurchflusses als Antwort auf mögliche, ja sogar wahrscheinliche weitere Sanktionen, beantwortet?

– Was haben Sanktionen und Sanktionsandrohungen in der Vergangenheit gebracht? Wenn man diese Frage ehrlich und ideologiefrei beantwortet, kommt man schnell zu der Erkenntnis, wer am längeren Hebel sitzt.

 

Was haben die Russen in diesem Konflikt falsch gemacht? Was haben die Europäer (Deutschland) in diesem Konflikt falsch gemacht?

– Beide Seiten haben es versäumt, sich als Partner auf Augenhöhe zu betrachten — die jeweiligen Positionen zu verstehen, von Empathie ganz zu schweigen. Das alte Blockdenken des kalten Krieges ist leider noch viel zu präsent.

 

Was haben die USA in diesem Konflikt falsch gemacht?

– Insbesondere unsere transatlantischen Partner haben es versäumt, aus ihrer alten „Weltpolizisten“-Rolle herauszufinden. Weder die Administrationen von Busch, Clinton, Obama oder Trump haben hier einen spürbaren Sinneswandel erkennen lassen. Es bräuchte aber gerade in dieser Zeit Visionäre, die die Zeichen der Zeit erkennen und aufeinander zugehen. Leider sind diese auf beiden Seiten nicht auszumachen. Jetzt fordert US-Präsident Biden sogar, die Inbetriebnahme von Nordstream II zu stoppen. Gleichzeitig soll Fracking-Gas aus Amerika unsere Energieversorgung sichern. Mittlerweile ist Russland aber der drittgrößte Öllieferant der USA. Diese Doppelmoral ist nicht sehr überzeugend.

 

Foto @ Jens Koeppen